Zusammenfassung
Fast lautlos gleitet ein Elektroboot über die Kanäle rund um Sneek. Reetdächer spiegeln sich im Wasser und Wildgänse ziehen über den Himmel. Hier In Südwestfriesland trifft man auf Menschen, die ihr Handwerk mit Hingabe pflegen – vom Skipper auf dem Sneekermeer bis zur Beerenburg-Brennerin und den Töpfern von Harlingen. Eine Reise durch Sneek ist eine Begegnung mit echtem friesischem Lebensgefühl: ruhig, stolz und ein bisschen eigensinnig – wie der Wind über dem Meer.
Hinter jeder Biegung wartet in der Region Waterland ein noch schöneres Postkartenmotiv
Fast lautlos navigiert Bert de Lange sein elektrisches Boot vorbei an grünen Wiesen, ein paar reetgedeckten Bauernhöfen und kleinen Werften. Mit einem Nicken grüßt der Skipper einen Binnenfischer, der hier, bei den Zwillingsdörfern Oppenhuizen und Uitwellingerga, als einer von wenigen noch Aale fangen darf. Holzstangen, an denen die Fallen befestigt werden, zeugen von seiner selten gewordenen Delikatessenjagd.
Hinter jedem Schilfgürtel wartet ein noch schöneres Postkartenmotiv. Denkmalgeschützte Windmühlen. Ein Floß, das Kühe zum Grasen von einer Weide zur anderen bringt. Wildgänse, die sich im Naturschutzgebiet Geeuwpolder im Wasser spiegeln. Dann öffnet sich der Blick in die Weite und auf das Sneekermeer. Über dem See: ein endlos wirkender Himmel mit dramatischen Wolkenformationen, für den die Region Waterland im Norden der Niederlande bekannt ist. „Es gibt wohl kaum einen besseren Weg, die Landschaft rund um Sneek zu bestaunen, als vom Wasser aus“, sagt Bert de Lange.
Er kennt die Wasserwege rund um die Stadt in- und auswendig. „Vor mehr als 20 Jahren haben meine Frau und ich uns in die Weite und Ruhe hier verliebt“, erzählt der Unternehmer. Für ein Leben mit und am Wasser ließen sie die Stadt hinter sich. Mit im Gepäck: vier Kinder und eine gehörige Portion Mut. „Wir haben unseren Traum wahr gemacht“, freut sich seine Frau Liesbeth. Auch wenn der Nachwuchs längst den Bootsverleih übernommen hat, liebt es das Paar noch immer, Besucher für die Natur und für Snits – wie die 35 000-Einwohner-Stadt Sneek auf Friesisch heißt – zu begeistern.
Sneek wird auch als die „Perle Südwestfrieslands“ bezeichnet
Gelegen mitten in der friesischen Seenplatte, gilt sie als Perle Südwestfrieslands und als das Wassersportmekka der Niederlande schlechthin. So ist die „Sneekweek“ weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Sportler aus ganz Europa messen sich während der Wettbewerbe im August – zum Beispiel beim Schnellsegeln oder beim traditionellen „Skûtsjesilen“. Skûtsjes sind friesische Plattbodenschiffe und Relikte aus der Zeit, in der man die Dörfer fast nur über die Binnengewässer erreichen konnte. Mit ihrem geringen Tiefgang waren die Segelschiffe ideal, um Waren wie Gemüse, Milch oder Baumaterialien nach Sneek zu transportieren – damals das florierende Zentrum des Handels.
Schmucke Grachtenhäuser, aber auch die Namen der Gassen und Plätze erinnern beim Bummeln an diese goldene Zeit. „An der Eierbrug wurden zum Beispiel Eier gehandelt und am Schaapmarktplein Schafe“, sagt Stadtführer Ko Smorenburg. Gemütliche Cafés und Restaurants zwischen Boutiquen und inhabergeführten Geschäften laden auf einen Stopp ein. Unbedingt probieren: die „Drabbelkoeken“, knusprige Küchlein, bei denen Teigstränge durch heiße Butter gezogen werden, eine typische Spezialität hier in Sneek.
Auch für viele Deutsche, die als Erntehelfer kamen oder selbst Handel betrieben, wurde die reiche Stadt im Norden der Niederlande einst zur neuen Heimat. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die deutschstämmige Familie Brenninkmeijer. „Die Brüder Clemens und August eröffneten hier 1860 die allererste C&A-Filiale“, erzählt der Stadtführer und zeigt auf ein Neu-Renaissance-Gebäude, in dem auch heute noch ein Bekleidungsgeschäft untergebracht ist.
Bedeutend älter ist das „Waterpoort“. Mit den achteckigen Türmen ist das Wassertor das Wahrzeichen Sneeks und wurde im 15. Jahrhundert als Teil des Stadtwalls gebaut. Damals war die Stadt für kurze Zeit Hauptstadt von Friesland. Das Gebäude ist so populär, dass es sogar für einen Freizeitpark in China kopiert wurde. „Abends wurden die Schotten dicht gemacht“, so Smorenburg. Eine schmale Wendeltreppe führt in die Wohnung des einstigen Torwächters. Dort tickt die Turmuhr – und zwar nicht ganz richtig. „Sie geht fünf Minuten vor. So hatten die Bewohner früher immer genügend Zeit, Sneek noch rechtzeitig zu verlassen oder durch das Tor hineinzukommen.“
Kräuterlikör Beerenburg: das Nationalgetränk der Friesen
Auch heute kann man mit einem Boot durch die Stadt schippern, die an manchen Ecken an eine Miniaturversion von Amsterdam erinnert. Touristen werden dabei selbst zum Kapitän. Boote unter 15 Metern dürfen nämlich von jedem, der sich traut, gesteuert werden. Ein besonders hübscher Platz zum Anlegen ist der Kanal Kleinzand mit seinen Patrizierhäusern. Dort findet sich neben dem „Friesischen Schifffahrtsmuseum“ eine weitere Sehenswürdigkeit mit musealem Charakter: die Destillerie „Weduwe Joustra“. Die Brennerei hat ihren Sitz in einem 1484 erbauten Haus und damit in einem der ältesten Gebäude der kleinen Stadt.
Wer die Tür öffnet, tritt eine Zeitreise an. Seit über 160 Jahren wird hier Kräuterlikör Beerenburg, quasi das Nationalgetränk der Friesen, nach Original-Rezept hergestellt und verkauft. Bis an die Decke reichen die Flaschen in den Regalen hinter dem nostalgischen Holztresen.
Verkäufer Marten Suk führt ins obere Stockwerk, wo sich Besucher durchs Sortiment kosten dürfen. An der Wand hängt das Porträt der Witwe Anjenette Joustra-Reinders, die, ganz in Schwarz gekleidet, mit strengem Blick das Geschehen zu verfolgen scheint. Wie sie auf die Idee kam, die Spirituose herzustellen? „Durch die vor ihrem Haus ankernden Schiffsleute, die mit ihren Skûtsjes Mist zu den Tulpenfeldern brachten“, erzählt der Angestellte. Auf dem Rückweg kauften sie im Geschäft des Amsterdamer Kaufmannes Hendrik Beerenburg spezielle Kräutersäckchen, um sie in Genever, einen Wacholderschnaps, einzulegen. Häufig verdarb der nach dem Händler benannte Mix aber auf hoher See. Die Witwe dagegen ließ die Kräuter vier Wochen im Genever ziehen – und nach genau diesem Rezept wird der Beerenburg auch über 160 Jahre später noch hergestellt.
In der im Hinterhof untergebrachten Brennerei schaut Mitarbeiterin Maureen Cnossen von einer Leiter aus prüfend in einen der 4 750 Liter fassenden Tanks. „Wir lassen 25 verschiedene Kräuter und Gewürze, darunter Zitronenmelisse, Enzian, Lorbeer, Anis und Kalmuswurzel, 28 Tage lang in Genever ziehen“, erläutert sie. Neben der Ursprungsversion gibt es mittlerweile eine ganze Reihe weiterer Beerenburg-Sorten. Viele hat Steve Sibson entwickelt. Nicht selten tüftelt der Engländer aus Yorkshire mit Sterneköchen an ganz besonderen Rezepten. Mit seinen ungewöhnlichen Kreationen ist der „Englishman in Sneek“, der als Rucksacktourist nach Friesland kam, fast schon selbst eine Attraktion.
In der Töpferei Harlinger entstehen Fliesen nach jahrhundertealten Techniken
Außergewöhnliche Mitbringsel finden Touristen auch im Laden der „Harlinger Töpferei & Fliesenfabrik“. Im Familienbetrieb im Hafenort Harlingen am Wattenmeer, eine halbstündige Autofahrt von Sneek entfernt, wurde eine fast vergessene friesische Handwerkskunst wieder zum Leben erweckt: „Wir sind die Letzten in den Niederlanden, die noch Töpferarbeiten und Fliesen wie im 16. Jahrhundert herstellen“, sagt Jeroen Molenaar, der als Designer in der Manufaktur von Rikus Oswald arbeitet. Das bedeutet: Alles wird mit der Hand aus Ton geformt, glasiert und bemalt. Klassische Motive wie Watvögel, Tulpen oder Segelschiffe in leuchtendem Blau zieren Schmuckfliesen, Teller und Tassen. Wer es moderner mag, kann aus Kollektionen mit Pinselstrichen oder Farbspritzern in verschiedenen Farben wählen. Das Steingut, das mit einer weißen Zinnglasur überzogen und dann bemalt wird, – international
bekannt als Majolica oder Fayence – ist so selten und einzigartig, dass es von Design-Studios in London, Schlossherren, Sterne-Hotels oder den Besitzern historischer Höfe gleichermaßen angefragt wird.
Nach Anmeldung können Besucher in der Manufaktur vorbeischauen und erfahren, wie das „Friesisch Blau“ Schritt für Schritt entsteht. „Das war vor 400 Jahren eine preiswertere Alternative zu chinesischem Porzellan“, erzählt Jeroen Molenaar. Aufgetragen wird das Dekor mithilfe von Holzkohlepuder durch perforierte Schablonen, dann werden die Konturen mit einem feinen Pinsel sorgfältig nachgezogen. Eine mühsame Feinarbeit, die jahrelange Übung benötigt. „Authentizität ist uns wichtig. Wir probieren aber auch gerne Neues aus“, sagt der Designer. Mit einem Holzstift kratzt er die Kontur eines Fisches und einer Krabbe in den weichen Ton. Sgraffito wird das genannt. „Das Motiv ist modern, die Technik aber jahrhundertealt.“ Und genau diese Kombi macht auch die Region Friesland so einzigartig: Sie ist traditionell, zugleich weltoffen und auf jeden Fall eine Reise wert.
Tipps und Infos für Sneek-Urlauber
Bootstour
Das historische Sneek vom Wasser aus zu bestaunen ist ein Muss bei jedem Besuch. An der Prins Hendrikkade können E-Boote oder Grachtenrundfahrten gebucht werden. www.binnenstadbootverhuur.nl/de
Museum
Im Friesischen Schifffahrtsmuseum erfahren Besucher alles über die Schifffahrt in Friesland, den Eissport und die Geschichte von Sneek. Besonders für Kinder ist der Besuch ein Abenteuer: Sie können ein Floß bauen, sich als Wikinger verkleiden und sogar ihr Steuermanndiplom machen. www.friesscheepvaartmuseum.nl
Städtetrip
Es kam schon Jahre nicht mehr vor, aber bei Minusgraden führt die „Elfstedentocht“, ein legendäres Eislaufrennen, an allen elf Städten Frieslands vorbei. Diese Tour lohnt sich aber auch im Sommer – mit dem Rad, dem Camper oder per Boot. Besonders schräg: der schiefe „Oldehove“-Turm in Leeuwarden, der Kulturhauptstadt Europas 2018, eine knappe halbe Stunde mit dem Zug von Sneek entfernt. www.visitleeuwarden.com/de
Einkaufen
Die bekannteste Einkaufsstraße ist der Oosterdijk, der in die Wijde Burgstraat und Kruizebroederstraat übergeht. Hier finden sich Modehäuser, kleine Geschäfte sowie Delikatessen-Händler mit vielen regionalen Spezialitäten, wie die Destillerie „Weduwe Joustra“, in der Besucher das friesische Nationalgetränk Beerenburg probieren und kaufen können. www.weduwejoustra.nl
