Zusammenfassung
Leipzig ist eine Stadt, in der die klassische Musik lebendig bleibt: Im Mendelssohn-Haus dirigieren Besucher selbst den „Hochzeitsmarsch“, in der Thomaskirche erklingen Bachs Kantaten und gleich gegenüber zelebriert das Café Kandler die berühmte Kaffeehauskultur.
Musik hören und spüren im Haus von Mendelssohn Bartholdy
Der Holzfußboden im Mendelssohn-Haus knarrt. Paula Schwab tritt einen Schritt zurück und sucht mit ihren Füßen das Geräusch. „Die Eichendielen und das Treppenhaus stammen aus dem Jahr 1845, als Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Frau Cécile in diese Wohnung zogen“, sagt die ehemalige Mitarbeiterin des Kulturamtes, die auch für die Museen der Stadt zuständig war. Heute ist die Leipzigerin vor allem ein Fan des Komponisten und besucht immer wieder mal sein ehemaliges Wohnhaus, wo früher auch Richard Wagner sowie Clara und Robert Schumann ein und aus gingen.
In dem Gebäude ist jetzt ein Museum, das alte Handschriften von Mendelssohn, von ihm gemalte Aquarelle sowie persönliche Gegenstände wie Biedermeier-Möbel, Kleidung und Geschirr zeigt. „Das Haus ist hell“, sagt Paula Schwab, „und leicht wie seine Musik, es lässt Raum für sie wie auch für eigene Gedanken.“ An mehreren Stellen sind im Museum Vertonungen der Werke zu hören, zum Beispiel im Klangraum. „Dank raffinierter Technik kann man hier sein gewünschtes Stück selbst dirigieren“, erklärt Schwab und wählt den „Hochzeitsmarsch“. Mendelssohn Bartholdy schrieb ihn 1826 für die Bühnenmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“.
1835 kam der Komponist und Pianist nach Leipzig, um dort Kapellmeister des Gewandhauses zu werden. Im Alter von 26 Jahren übernahm er das Orchester und führte es zu internationalem Ruhm. Er war es auch, der Johann Sebastian Bach davor bewahrte, in Vergessenheit zu geraten. Während man damals bei Konzerten fast nur zeitgenössische Musik spielte, führte Mendelssohn Bartholdy 1829 die Matthäus-Passion auf. Fast 80 Jahre nach Bachs Tod erklang dessen wichtigstes Werk erstmalig wieder. „Es war der Beginn eines Comebacks, ohne das wir Bach heute nicht kennen würden“, ist sich Paula Schwab sicher.

„Das Museum im ehemaligen Wohnhaus von Mendelssohn Bartholdy ist hell und leicht wie seine Musik. So bleibt genügend Raum für sie und auch für eigene Gedanken.“ Paula Schwab arbeitete früher im Kulturamt der Stadt
© Carsten Heinke
Johann Sebastian Bach prägte die Musikgeschichte der Stadt
Weder Felix Mendelssohn Bartholdy noch Johann Sebastian Bach sind in Leipzig geboren, doch beide haben von hier aus die Musik-Geschichte geprägt. Und von einem zum anderen ist es auch gar nicht weit – wenn man sich in die himmelblaue Fahrrad-Rikscha von Helge Hector setzt! Als „Velo-Taxifahrer“ bietet er umweltfreundliche Touren quer durch die autofreie Innenstadt an und erzählt dabei viel Wissenswertes. In zehn Minuten radelt er vom Mendelssohn-Haus zur Thomaskirche, in der Bach 1723 als Kantor anfing – das 300-jährige Jubiläum wurde in der Stadt groß gefeiert. Eine feierliche Stimmung herrscht auch jetzt in der Thomaskirche. Es ist Freitag, rund 1 500 Menschen sitzen auf den Bänken und warten darauf, dass die ersten Töne der Motette erklingen. Die geistlichen Konzerte finden meist jeden Freitag und Samstag statt und oft sind es Bach-Kantaten, die das Publikum begeistern.
Auch die Leipzigerin Sylvie Weidner ist unter den vielen Gästen in dem hohen Kirchenschiff. „Bei Konzerten sitze ich am liebsten hier“, erzählt sie und freut sich über ihren Platz „ganz in der Nähe von Johann Sebastian Bach“. Eines der Kirchenfenster auf der Südseite zeigt nämlich den Komponisten im Halbprofil. Prunkvoll eingerahmt, mit weißer Perücke und zinnoberrotem Gehrock, schaut er auf die Besucher der Kirche herab.
Nur ein paar Meter von Sylvie Weidner entfernt markiert eine schlichte Bodenplatte mit seinem Namen die letzte Ruhestätte Bachs. In der Thomaskirche, wo der gebürtige Eisenacher 27 Jahre lang als Kantor wirkte, kann sie tief in seine Kunst eintauchen, sagt die Buchhändlerin. „Hier stand er und dirigierte den Thomanerchor. Oft saß er selbst an der Orgel.“ Die ertönt wenig später. Schon mit dem ersten Laut durchdringt ihr Klang den Raum. Die Töne kommen aus vielen Hundert Orgelpfeifen, tanzen schwingend durch die Luft. „Herz und Mund und Tat und Leben“ heißt das Stück – eine Kantate, die Johann Sebastian Bach exakt vor drei Jahrhunderten vollendete.

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Der Thomanerchor ist einer der ältesten Knabenchöre Deutschlands
Damals stellte die Stadt Leipzig den 38-jährigen Bach als Musikdirektor und Thomaskantor – der künstlerische Leiter des Thomanerchores – ein. Begleitet wurde er von seiner zweiten Ehefrau, der Sopranistin Anna Magdalena Bach, und seinen vier Kindern aus erster Ehe. Seine Gattin, die aus einer Musikerfamilie stammte, gebar 13 Mädchen und Jungen, führte den Haushalt und blieb berufstätig. Sie gab Konzerte, unterrichtete, verkaufte selbst kopierte Noten und managte die Arbeit ihres Mannes. Dessen Aufgabe war es, das Musikleben der Stadt zu lenken, den Thomanerchor zu leiten sowie die Sängerknaben zu unterrichten, die nach Bachs Meinung nur mäßig talentiert waren.
Heute hätte Bach sicher viel Freude am Gesang der Jungen. Hell und klar erklingen ihre makellosen Stimmen in der Thomaskirche. „Schwingt freudig euch empor“, lautet der Titel der Kantate, die Bach für die Adventszeit schuf. Zum Abschluss der Motette darf ihn das Publikum ganz wörtlich nehmen: Sobald der letzte Ton verhallt ist, strebt man froh und selig an die frische Luft.
Das Geschirr der Porzellan-Manufaktur Meissen zeugt von der Kaffeekultur der Stadt
„Jetzt ist Zeit für einen Cappuccino und ein Stück Kuchen“, findet Sylvie Weidner. Am besten direkt gegenüber der Thomaskirche im Café Kandler, im Erdgeschoss eines wunderschönen Bürgerhauses.
Wie wäre es mit einem Stück Bachtorte oder einem Bachtaler? Der feine Mokka-Creme-Kuchen wie auch die Praline mit Mokka-Nougat huldigen dem Komponisten und sind vom Kaffee inspiriert. Dafür gibt es einen guten Grund: Bereits 1734 schrieb Bach die Kaffee-Kantate. Schon damals führte er als Musikdirektor das eine oder andere Konzert auch in einem Kaffeehaus auf.
Die Kaffeekultur etablierte sich schon früh in Leipzig. Davon zeugt auch das prachtvolle Geschirr aus der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen, das Bodo Zeidler in seinem Geschäft unter den Arkaden des Alten Rathauses verkauft. „1710 präsentierte Kurfürst August der Starke in Leipzig das erste Porzellan Europas“, so der Händler. Seine Tochter Annett fügt hinzu: „Für die damalige Kaffee-Begeisterung kam Porzellan wie gerufen, denn daraus schmeckt das Getränk einfach besser.“
Neben kleinen, oft humorigen Objekten findet man beim Stöbern im Geschäft der Zeidlers auch kostbare Sammlerstücke wie die Bachtasse – filigran und goldbemalt mit dem Porträt des Komponisten. Typisch für das barocke Design ist die tiefe Untertasse, die man zum Trinken nutzte. Denn bevor Melitta Bentz 1908 in Dresden die Einweg-Filtertüte erfand, brühte man den Kaffee direkt in der Kanne. Durch ein Sieb wurde das Getränk in die Tasse gegossen und von dort in die Untertasse. Deren Schalenform erklärt, woher die Redewendung „ä Schälchen Heeßen trinken“ kommt – viele Leipziger nennen so heute noch ihre Tasse Kaffee.

„Die Kaffeeschüssel verdankt ihre Existenz wohl dem Aufenthalt Napoleons in Leipzig.“ Jürgen Kleinert, Bäckermeister
© Carsten Heinke
„Lerchen“ sind die Lieblings-Süßigkeit der Leipziger
In Sachsen wurde nicht nur das passende Geschirr erfunden, sondern auch der schöne Brauch des Nachmittagskaffees mit einem Stück Kuchen etabliert. Wer auf Tradition Wert legt, stellt dazu eine „Kaffeeschüssel“ auf den Tisch – eine große Porzellanschale, voll mit kleinen, feinen Teilchen. Auch bei den Zeidlers steht ein strahlend weißes Exemplar mit gewelltem Rand im Regal. „Ihre Existenz verdankt die Kaffeeschüssel wohl dem Aufenthalt Napoleons und der Völkerschlacht bei Leipzig“, glaubt der Bäckermeister Jürgen Kleinert. „Weil man nicht wusste, was der Kaiser der Franzosen mag, bot man ihm diverse kleine Kreationen an: Mini-Windbeutel und Törtchen, Frucht- und Sahneschnitten, Petits Fours, Eclairs. Heute gehören auf die Kaffeetafel auch unbedingt die ,Lerchen‘, die Lieblings-Süßigkeit der Leipziger.“ Kleinerts Bäckerei ist darauf spezialisiert. Hergestellt werden die Küchlein in Pasteten-Form, typisch mit zwei gekreuzten Streifen, aus Mürbeteig, Marzipan und Marmelade.
Ihr Name stammt aus der Zeit, als man die Singvögel hier tatsächlich verspeiste und in großen Mengen exportierte. Nach dem Verbot von 1876 schufen kreative Bäcker fleischlosen Ersatz. Seither sind die Leipziger Lerchen eine begehrte Süßspeise. Am beliebtesten sind bei Bäcker Jürgen Kleinert die Sorten, die er Leipzigs Komponisten gewidmet hat – frei nach deren Vorlieben. So schmecken Schumann-Lerchen nach Pistazien, Wagner-Lerchen nach Champagner und Bach-Lerchen natürlich nach Kaffee.
Tipps und Infos für Leipzig-Besucher
Thomaskirche
In der Thomaskirche werden Motetten des Thomanerchors freitags ab 18 Uhr und samstags ab 15 Uhr dargeboten. Der Kauf eines Programms gilt als Eintritt. Die Kirche ist täglich von 10 bis 18 Uhr für Besucher geöffnet. www.thomaskirche.org
Gewandhaus
Im Gewandhaus am Augustusplatz finden erstklassige Sinfonie- und Kammerkonzerte statt. www.gewandhausorchester.de
Oper Leipzig
Klassische und moderne Opern stehen in der Oper Leipzig ebenso auf dem Programm wie Ballett und Musicals; immer wieder auch Werke von Richard Wagner, der in Leipzig geboren wurde. www.oper-leipzig.de
