Sich in der Phantasie auszutoben macht Spaß. Sich etwas von der Seele zu schreiben, tut gut. Doch wie gelangen die Worte in unserem Kopf aufs Papier? So gelingt der Einstieg in drei Schritten.

Schreiben – So erleichtern Sie sich den Einstieg

Tipp 1: Den richtigen Rahmen schaffen

  • Setzen Sie sich tägliche „Schreib-Zeiten“, entwickeln Sie Schreibrituale (der immer gleich Platz, eine Tasse Tee Tee, leise Musik…)
  • Setzen Sie sich ein festes, realistisches Ziel, etwa „eine halbe Seite pro Tag“
  • Richten Sie sich den Schreib-Ort liebevoll ein. Für manche ist auch das Arbeiten im Café die bessere Alternative
  • Finden Sie Ihre bevorzugte Schreibweise: per Hand? Mit der alten Schreibmaschine? Oder am Laptop?

Tipp 2: Fingerübungen für den Einstieg / für zwischendurch:

  • Alte Fotos ansehen und möglichst detailliert oder aus verschiedenen Perspektiven den Moment beschreiben, der darauf zu sehen ist
  • Eine Person, die man besonders mochte/mag jemandem schriftlich beschreiben, der sie nicht kennt
  • „Mein schönster Urlaub“? Klingt nach Schulaufsatz, aber: Kindheitserinnerungen eignen sich gut für den Einstig
  • Suchen Sie sich aus Lieblingsbüchern, Kreuzworträtseln oder anderen Quellen drei Stichworte – und entwickeln Sie daraus eine Kurzgeschichte, eine Anekdote oder Ähnliches.

Tipp 3: Die Angst vor dem leeren Blatt verlieren:

  • Mindmapping mit Hilfe eines besonderen Wortes, Buchstabens etc.: Das Wort umkringeln und daraus spontan ableiten, was einem einfällt.
  • Hilfssätze als Einleitung nutzen: Ich erinnere mich, dass … Oder:  Diese Geschichte handelt von ….
  • Wie in einem Brief, eine konkrete/fiktive Ansprechperson vorschalten: Liebe…

Schreiben befreit die Seele

Der Onkologe Jalid Sehouli hat in seiner Klinik an der Berliner Charité eine Schreibgruppe für Krebspatientinnen ins Leben gerufen – und freut sich über die Erfolge damit.

Herr Sehouli, was bedeutet Ihnen das Schreiben?

SEHOULI: Zunächst hilft es mir bei der Entschleunigung. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass es ein wunderbares Mittel sein kann, um in schwierigen Lebenssituationen Kraft zu schöpfen, etwa nach dem Tod meiner Mutter oder damals, als ich vor vier Jahren Opfer eines schweren Überfalls wurde.

Wie erklären Sie sich diese heilende Wirkung?

SEHOULI: Das Schreiben birgt die Chance zur Reflexion, darin liegt eine unheimliche Kraft. In meinem Fall hat es mir die Möglichkeit gegeben, aus meiner eigenen, lähmenden Rolle als Opfer herauszutreten, indem ich mich beim Schreiben fragen musste: Wie würde das ein unbeteiligter Beobachter sehen oder ein Leser empfinden?

Ihr schreibtherapeutisches Angebot gibt es seit gut einem Jahr. Was beobachten Sie bei Ihren Patientinnen?

SEHOULI: Die Wirkung ist großartig. Das Schreiben bringt den Patientinnen ihr inneres Gleichgewicht und Lebensfreude zurück, und was nicht zu unterschätzen ist: Es erdet sie. Viele werden durch ihre Krankheit aus ihrem sozialen Umfeld herauskatapultiert, verlieren Job, Kollegen und oft auch Freunde. Wer schreibt, tritt automatisch in einen Dialog, ob mit dem Tagebuch, sich selbst oder einer fiktiven Person. Und das entlastet.

Spielt es dabei eine Rolle, ob man in der Gruppe oder alleine schreibt?

SEHOULI: In einer Gruppe und unter Anleitung erfahrene Schreibtherapeutinnen zu arbeiten, ist natürlich besonders effektiv und sehr schön. Viele entdecken bei uns, wie viel sie eigentlich können. Eine Patientin hat gerade den ersten Krebs-Kung-Fu-Comic gezeichnet, eine andere ist für ihre Erzählung prämiert worden. Außerdem sind wir im Gespräch mit Suhrkamp über eine Anthologie mit Geschichten krebskranker Frauen.

Wie oft findet die Schreibtherapie statt?

SEHOULI: Physisch kommen die Teilnehmerinnen einmal im Monat zusammen, aber dazwischen gibt es Hausaufgaben und natürlich die Möglichkeit, sich mit den beiden Schreibtherapeutinnen auszutauschen. Unsere Gruppe ist übrigens nicht nur für Patientinnen, sondern auch für Angehörige und unser Personal offen. Diese Offenheit bewirkt, dass alle mal in die Perspektive der anderen wechseln. Was ebenfalls einen therapeutischen Wert hat, denn man weiß, dass soziale Kompetenz das Überleben fördert.

Lässt sich die Wirksamkeit des Schreibens messen?

SEHOULI: Man muss nicht alles messen, um zu wissen, dass es hilft. Gleichwohl evaluieren wir unser Projekt, zudem gibt es wissenschaftliche Studien, die den positiven Effekt belegen. Der Erfolg unseres Angebots ist so offensichtlich, dass wir nun beschlossen haben, diese Erfahrung weiterzugeben: Wir haben eine Tour organisiert, bei der wir das Projekt vor allem Onkologen näherbringen wollen.