Schon der Anblick von Bäumen genügt bei vielen Menschen, damit Stress-Hormone im Körper reduziert werden. Wie genau das funktioniert, erklärt Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben im Interview.
Die Natur als Ruheort unserer Seele
Zwei Drittel der Menschen in Deutschland sind regelmäßig im Wald. „Der Wald ist inzwischen für viele der wichtigste Weg, dem Zivilisationsstress zu entkommen“, erklärt der Natursoziologe Rainer Brämer aus Marburg, der das deutsche Wanderinstitut mit gründete.
„Die harmonische Vielfalt an Farben, Geräuschen und Gerüchen lässt uns innerlich zur Ruhe kommen.“
Und noch etwas biete der Wald, das man kaum mehr finde: natürliche Stille. „Anscheinend sehnen sich immer mehr Menschen nach dieser Stille.“
Studien belegen, dass die Schönheit des Waldes uns gut tut:
- Kontakte mit der Natur rufen Gefühle des Behagens und entspannter Wachsamkeit hervor.
- Der Cortisol-Spiegel sinkt, der den Stress zeigt. Bereits der Anblick der Natur soll diese Wirkung haben.
- Menschen, die nachts ruhelos sind, können nach einem Wald-Spaziergang besser schlafen.
- Wer im Wald joggt, ist ausgeglichener und erholter als nach dem Laufen im Studio oder in der Stadt.
- Die Natur steigert die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und negative Gefühle werden durch positive ersetzt.
Rainer Brämer erklärt dies damit, dass die Natur unser ursprüngliches Zuhause ist: „Deshalb fühlen sich die meisten Menschen dort wohler als in der künstlichen Zivilisation.“ Ähnlich sieht es der amerikanische Evolutionsbiologe Edward O. Wilson. Er glaubt, dass die emotionale Bindung des Menschen zur Natur angeboren ist, Teil seiner genetischen Ausstattung. Deshalb würden wir auch die Natur brauchen, um gesund zu bleiben. Nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Blutdruck und Herzfrequenz sinken in der Natur, Kopfschmerzen lassen nach, das Immunsystem wird gestärkt, vor allem, wenn man sich draußen bewege.
Interview mit Peter Wohlleben, Autor von „Das geheime Leben der Bäume“
Der SPIEGEL-Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ wurde verfilmt und unsere Redakteurin Ulrike Passoth hat aus diesem Anlass mit Förster und Autor Peter Wohlleben gesprochen:
Passoth: Was halten Sie vom Trend Waldbaden?
Wohlleben: Anfangs habe ich gedacht: „Das muss doch jetzt nicht sein…“. Das fing ja an mit Nordic Walking statt Spazierengehen. Ich kann doch wohl noch in den Wald gehen ohne Anleitung. Aber mittlerweile biete ich das sogar in der meiner Waldakademie an. Weil ich gelernt habe: „Doch, das macht Sinn.“ Wir entspannen uns ja gar nicht richtig im Wald. Etwa beim Joggen im Wald: Es ist schön, man hat einen Plan. Joggen ist gesund. Aber eigentlich brauchen Sie den Wald dafür nicht. Denn joggend nehmen Sie vom Wald nicht so besonders viel mit. Und wir machen das häufig auch bei Spaziergängen: Wir laufen Kilometer ab. Das ist auch die typische Frage, wenn man davon erzählt, wieviel Kilometer man zurückgelegt hat. Ist doch egal.
Passoth: Schritte zählen ist ja auch sehr beliebt…
Wohlleben: Genau, solche Sachen eben. Und beim Waldbaden machen wir genau das Gegenteil. Da sagt man: „Mach mal langsam, leg dich mal eine Stunde untern Baum.“ Und weil man sich das unter Anleitung eher erlaubt, macht man es mit Anleitung. Da werden ein paar Yoga-Übungen dazu gemacht oder Achtsamkeits-Übungen. Bei uns zum Beispiel stapelt der Carsten Spachmann mit den Leuten Steine. Und zwar so, dass sie in der Balance bleiben. Ohne Anleitung. Wenn die Menschen sich fallen lassen, kriegen sie das hin. Wenn Sie das verkrampft versuchen, fallen die Steine um.
Passoth: Das ist so ein bisschen wie eine Absolution…
Wohlleben: Genau, das ist es. Und das kann man bei mir in der Waldakademie lernen und anschließend macht man es dann vielleicht auch mal selber. Es geht auch darum, die Menschen anzuleiten, sich wieder selbst Dinge zu erlauben.
Passoth: Was genau tut denn so gut beim Waldbaden?
Wohlleben: Medizinisch ist das mittlerweile so geklärt, dass die Ludwig-Maximilians-Universität in München sogar schon Therapeuten ausbildet. Letztendlich ist es die Baumkommunikation, die Sie aufnehmen, über die Gerüche. In einem intakten Wald – deshalb geht es am besten in alten Laubwäldern – nimmt Ihr Unterbewusstsein auf „Ach ja, intakt, alles ausgeglichen.“ Und dann sinkt ihr Blutdruck. Das können Sie messen. Wir haben das mal mit Moderatorin Bettina Böttinger gemacht. Aber Sie müssen aber keine Sorge haben, wenn Sie umfallen, wenn Sie niedrigen Blutdruck haben (lacht). So weit geht es nicht. Und dann entspannt man sich. Bewusst nehmen Sie das nicht wahr, aber Sie sagen dann: „Ach, ist das schön hier.“
Passoth: Und was genau passiert im Körper?
Wohlleben: Zunächst einmal hält das Absinken bzw. die Stabilisierung des Blutdrucks auf ein gesundes Niveau tagelang an. Und Sie kräftigen Ihr Immunsystem. Auch das ist nachweisbar. Es gibt ja Stoffe, die Bäume absondern, um ihre Umgebung chemisch von Pilzen und Bakterien zu reinigen. Und das atmen Sie alles ein. Das erhöht zum Beispiel die Anzahl der Killerzellen im Blut. Das ganze Immunsystem reagiert auf diese Stoffe. Das heißt, Sie überstehen den Winter zumindest etwas gesünder.
Passoth: Der positive Effekt kommt also von den Stoffen, die die Bäume absondern – von der Vegetation – und nicht von der sogenannten „guten Waldluft“?
Wohlleben: Genau, wir sind dabei Teil der Pflanzenkommunikation und antworten auch darauf. Das geht sogar noch weiter: Es gibt eine Untersuchung aus Toronto/Kanada, wo man Straßen untersucht hat, in denen mehr als 20 Bäume wachsen. Hier ist die Lebenserwartung um 1,4 Jahre höher als in Vierteln, wo keine Bäume wachsen. Woran das genau liegt, weiß man nicht. Man weiß ja zum Beispiel auch, dass Sie, wenn Sie krank sind und auf einen Baum blicken, schneller gesund werden. Diese Studien gibt es alle, das hat eine Wirkung, auch in der Stadt. Deswegen sind auch Stadtbäume ganz wichtig.
Passoth: Wie oft müsste man denn spazieren gehen, damit man „über die Woche kommt“?
Wohlleben: Einmal pro Woche sollte man es schon machen. Wenn man es nur einmal im Monat schafft, dann ist es halt so. Ein Stündchen wäre gut, je länger, je besser. Aber wenn Sie nur eine Viertelstunde Zeit haben, dann gehen Sie eben eine Viertelstunde spazieren. Und wenn Sie es nur bis in den nächsten Stadtpark schaffen, dann machen Sie es eben im nächsten Stadtpark. Es sind kleine Schritte. Je tiefer in den Wald, je länger, umso besser ist es natürlich.