Warum alle ab 60 ihren Impf-Status prüfen sollten, erklären Prof. Clara Lehmann, leitende Ärztin der Infektionsambulanz am Universitätsklinikum Köln, und Dr. Jan Leidel, ehemaliger Vorsitzender der Ständigen Impfkommission und wissenschaftlicher Beirat des Deutschen Grünen Kreuzes.

Auch wenn die Immunisierung gegen Covid-19 lange das beherrschende Impf-Thema ist, sollten wir die Vorsorge gegen Grippe, Pneumokokken-Bakterien, Diphtherie, Tetanus oder gegen Keuchhusten weiterhin ernst nehmen.
Impfungen sollen nicht nur dem eigenen Schutz dienen, sondern auch dem Schutz anderer“, sagt Prof. Clara Lehmann, Internistin und leitende Ärztin der Infektionsambulanz am Universitätsklinikum Köln. „Ältere Menschen können beispielsweise das Keuchhusten-Bakterium in sich tragen, ohne daran zu erkranken, und so unwissentlich ihre Enkel anstecken.“ Überprüfen Sie also regelmäßig Ihren Impf-Pass und besprechen Sie mögliche Lücken mit dem Hausarzt.

Experten-Interview „Impfen“

Herr Dr. Leidel, jeder wurde als Kind viele Male geimpft. Reicht das nicht?

LEIDEL: Leider nein. Auch das Immunsystem altert. Manche Krankheiten verlaufen deshalb im Alter oft schwerer und komplikationsreich. In der Grippe-Saison 2017/18 gab es über 25.000 Todesfälle, 87 % waren über 60 Jahre alt. Zu den häufigsten Todesursachen bei Älteren gehören auch Pneumokokken. Und gegen die Gürtelrose, die bei über 60-Jährigen gehäuft auftritt, gibt es einen sehr effektiven Impfstoff, der allen Menschen ab 60 und chronisch Kranken ab 50 empfohlen wird. Routine für alle Erwachsenen bis ins hohe Alter ist die regelmäßige Impfung gegen Wundstarrkrampf (Tetanus) und Diphtherie.

Warum lassen sich so viele Ältere nicht impfen?

LEIDEL: Ältere halten Impfungen offenbar für „Kinderkram“. Das ist wirklich gefährlich: Tetanus zum Beispiel ist eine klassische Infektion im Alter, weil Auffrischungen vergessen werden. Besonders schlecht sind die Impf-Raten bei Keuchhusten. Diese Impfung möchte ich ganz besonders all jenen ans Herz legen, die Großeltern geworden sind oder es bald werden. Denn Neugeborene und Säuglinge sind durch Keuchhusten sehr gefährdet. Und wer möchte es riskieren, das Enkelkind anzustecken, weil er selbst nicht geimpft ist?

Wie lässt sich der Impf-Status feststellen, wenn kein Impfpass mehr vorhanden ist?

LEIDEL: Manche Ärzte empfehlen Titer-Bestimmungen – dabei wird im Blut nach Antikörpern gesucht. Die Bestimmung ist aber gerade bei Tetanus, Diphtherie und vor allem auch Keuchhusten zu ungenau. Deshalb gilt: Alle Impfungen, die nicht dokumentiert sind, nachholen. Dann gibt es auch einen neuen Pass.

Soll ich wegen einer Erkältung den Impf-Termin verschieben?

LEIDEL: Eine Impfung muss nicht wegen einer leichten Erkältung oder etwas erhöhter Temperatur bis 38,5 C verschoben werden. Viel gefährlicher ist es, wenn die Impfung später ganz vergessen wird.

Impf-Mythen im Fakten-Check

Keuchhusten kriegen doch nur Kinder

Von Wegen! „Zwar sind vor allem Babys und Kinder betroffen, aber wir erleben es bei immer mehr Jugendlichen und Erwachsenen, dass sie keinen ausreichenden Impfschutz haben“, sagt Prof. Lehmann. „So verbreitet sich Keuchhusten vor allem unter Älteren häufiger.“ Daran kann jeder Mensch sogar mehrfach im Laufe seines Lebens erkranken. Umso wichtiger ist es, sich vor der bakteriellen Infek­tion zu schützen, zumal sie im Alter wesentlich schlimmer und langwieriger verläuft als bei Kindern.

Die STIKO rät allen Ungeimpften ab 60 Jahre zu einer einmaligen Impfung. Oder, falls diese bereits vorhanden ist, alle zehn Jahre zu einer Auffrischung. Sie ist in Kombination mit Tetanus und Diphtherie möglich.

Die Wirksamkeit von Impfungen ist nicht belegt

Falsch! Würde das stimmen, dürften Impfstoffe gar nicht auf dem Markt sein. Denn die Wirksamkeit muss laut Arzneimittelrecht mithilfe experimenteller und klinischer Studien nachgewiesen sein – sonst bekommt ein Impfstoff keine Zulassung. Auf EU-Ebene prüft das die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA (European Medicines Agency), in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut.

„Impfungen sind lebenswichtig“, betont Prof. Lehmann. „Sie schützen vor vermeidbaren Infektionen oder mildern deren Verlauf deutlich ab. Und: Je mehr Menschen sich impfen lassen, umso besser können Pandemien verhindert werden. Stichwort: Herdenimmunität.“ Aus diesem Grund ist oft von der sogenannten Impfquote die Rede. Ist diese gut, haben Erreger fast keine Chance mehr, sich auszubreiten.

Grippe-Impfungen lösen doch erst eine Grippe aus

„Das ist physiologisch nicht möglich, denn es handelt sich bei einer Grippe-Impfung in der Regel um einen Tot-Impfstoff“, stellt die Expertin klar. Nach jeder Impfung wird das Immunsystem angeregt und arbeitet auf Hochtouren. Daher können Grippe-ähnliche Symptome entstehen wie leichtes Fieber, Kopfweh und Gliederschmerzen. „Doch das ist eine normale Reaktion des Körpers, die ein paar Tage andauern kann, aber nicht ansteckend ist – und keine richtige Influenza“, erklärt die Ärztin.

Ältere Menschen, die bereits ein geschwächtes Immunsystem haben, sollten sich wegen möglicher Nebenwirkungen keine Sorgen machen: „Auch wenn Ihre Abwehrkräfte nicht mehr die besten sind, rate ich, sich gegen alle gängigen Infektionen impfen zu lassen“, sagt die Expertin. „Denn das Immunsystem leidet noch viel mehr darunter, wenn Sie sich mit einem der gefährlichen Erreger anstecken.“

Unsere Experten

© Privat; Universitätsklinikum Köln

Dr. Jan Leidel ist ehemaliger Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut und wissenschaftlicher Beirat des Deutschen Grünen Kreuzes.

Prof. Clara Lehmann ist Internistin und leitende Ärztin der Infektionsambulanz am Universitätsklinikum Köln.