Wenn der Darm zum Reizdarm wird, beeinflusst dies oft die gesamt Lebensqualität. Doch es gibt Hoffnung: Die richtige Ernährung kann Abhilfe schaffen.

Unangenehmes Leiden: Reizdarm

Stress, Hormonumstellung, Veranlagung, ungewohntes Essen – Reizdarm kann viele Ursachen haben. Betroffenen ist dies meist peinlich und sie trauen sich nicht, ihre Probleme einzugestehen. Denn über Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen und Blähungen zu reden, fällt schwer. Zumal man oft vor wichtigen, aber aufwändigen Untersuchungen beim Arzt mit Blut- und Urinproben, Ultraschall oder Darmspiegelung zurückschreckt.

Was den Reizdarm schont

Doch es gibt Hilfe, wie Experten herausfanden: FODMAPs. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die neue wissenschaftliche Erkenntnis, dass jedes Lebensmittel Substanzen enthält, die den Darm unterschiedlich reizen. Man kann jedes Lebensmittel nun darauf testen, ob es den eigenen Darm unterstützt oder ihn eher stört.

Experten-Interview

Es kommt dabei immer auf den Einzelfall an – und muss im Alltag ausprobiert werden. Wie Betroffene dies am besten umsetzen können, erklärt Prof. Martin Storr, Darmspezialist aus Gauting, im Interview.

Herr Prof. Storr, Sie versuchen seit Jahren die Rätsel um einen gereizten Darm zu entschlüsseln. Jetzt empfehlen Sie Betroffenen nur wenig Äpfel, Rote Bete, Artischocken oder Roggenbrot zu essen. Dabei denken doch die meisten, dass dies topgesunde und natürliche Lebensmittel sind?

PROF. STORR: Diese Lebensmittel sind tatsächlich gesund. Aber: Sie enthalten von Natur aus auch schwer verdauliche Substanzen, die bei Menschen mit sensiblem Darm dazu führen, dass es vermehrt zu Blähungen, weichem Stuhl, Durchfall oder Darmkrämpfen kommt. Diese Nahrungsbestandteile nennen Experten FODMAPs. Und wer nun einen empfindlichen Darm hat, sollte Lebensmittel mit vielen dieser FODMAPs einschränken oder gar nicht mehr essen. Nicht weil sie giftig oder gefährlich sind, sondern weil sie Probleme bei der Verdauung bereiten können.

Den meisten Menschen wird der Begriff FODMAP völlig neu sein …

PROF. STORR: FODMAP ist ein Kunstwort, das für eine Gruppe von kurzkettigen Kohlenhydraten und Zuckeralkoholen steht, die in fast allen Nahrungsmitteln stecken. Manche Lebensmittel enthalten viele FODMAPs, etwa Äpfel, Weizenbrot oder Frischkäse. Andere nur wenige, so wie Bananen, Karotten oder Parmesan.

Also ist lediglich der Oberbegriff FODMAP neu, die Substanzen selbst sind altbekannt?

PROF. STORR: Genauso ist es. Von Fructose, also Fruchtzucker, oder Laktose, das heißt Milchzucker, haben die meisten schon gehört. Sie fallen ebenso unter FODMAPs wie die Zuckeraustauschstoffe Sorbit oder Xylit. Auch Fruktane oder Galaktane zählen zu den FODMAPs, das sind Kohlenhydrate, die in Getreide, Zwiebeln, Bohnen und Linsen stecken.

Und wie lösen diese Stoffe Reizdarm-Beschwerden aus?

PROF. STORR: Der Ärger fängt sozusagen bereits im Dünndarm an. Dort werden diese FODMAPs meist gar nicht richtig aufgenommen. Etwa, weil dem Körper die nötigen Enzyme fehlen oder weil die Darmwand nicht durchlässig genug für bestimmte Bestandteile der Nahrung ist. Darüber hinaus binden FODMAPs sehr viel Wasser. Dieses sammelt sich Flüssigkeit im Darm und erhöht wiederum das Tempo, mit dem der Nahrungsbrei durch die Eingeweide rauscht – bis hin zum Durchfall.

Lösen die FODMAPs auch Blähungen aus, eine unangenehme Beschwerde, die viele mit Reizdarm kennen?

PROF. STORR: Ja, denn sie werden durch Bakterien im Darm vergärt. Dabei entstehen Gase, die sich relativ schnell durch Blähungen und Krämpfe bemerkbar machen.

Und das passiert nur bei Menschen mit Reizdarm?

PROF. STORR: Nein. Prinzipiell bereiten die FODMAPs jedem Beschwerden. Lediglich die Stärke der Symptome ist individuell unterschiedlich. Wenn ich als Gesunder fünf Äpfel esse, bekomme ich auch weichen Stuhlgang. Zwei Äpfel am Tag hingegen vertragen die meisten. Menschen mit Reizdarm aber eben nicht. Bei ihnen reicht häufig schon ein Viertelchen eines Apfels, um Blähbauch, Schmerzen, Durchfall oder andere Symptome zu bekommen.

Wer einen Reizdarm hat, muss also nur auf die FODMAPs verzichten und schon verschwinden die Darmprobleme?

PROF. STORR: Ja, in der Regel ist es wirklich so einfach. Es gibt mittlerweile große klinische Studien, die bestätigen, dass eine solche Diät wirklich gut funktioniert. Mehr noch, FODMAPs wegzulassen ist das wirksamste Mittel gegen Reizdarm-Beschwerden.

Nützt die FODMAP-Diät auch bei anderen Beschwerden mit der Verdauung?

PROF. STORR: Ja, z.B. bei folgenden Problemen:

  • Chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, etwa bei Morbus Chron und Colitis ulcerosa;
  • Sodbrennen und Völlegefühl;
  • Weizen-Unverträglichkeit, etwa auf Gluten;
  • Laktose- und Fructose-Intoleranz, wenn ein Verzicht auf Milch- bzw. Fruchtzucker die Beschwerden nicht ausreichend reduziert.

Wenn man einen chronisch gereizten Darm hat, kann man dann auf eigene Faust mit der FODMAP-Diät starten?

PROF. STORR: Sie brauchen dafür im Prinzip keinen Arzt und keine Ernährungsberaterin. Es reicht, wenn Sie wissen, welche Lebensmittel viele FODMAPs enthalten und welche nur wenige.

Und wie fängt man an?

PROF. STORR:  In der Startphase, die ersten vier bis sechs Wochen, alle FODMAP-reichen Lebensmittel streichen und durch FODMAP-arme Produkte ersetzen. Diese Phase wirklich sehr streng einhalten. Nur das sichert den Erfolg und Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall verschwinden.

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Und was kommt nach den sechs Wochen?

PROF. STORR: Dann können Sie nach und nach einzelne Lebensmittel wieder in die Diät aufnehmen. So können Sie herausfinden, ob und wie viel Sie von bestimmten Lebensmitteln vielleicht doch vertragen, ohne dass der Darm rumort. Mein Tipp: Alle drei Tage ein neues Lebensmittel austesten, das Sie gerne mögen. Erfahrungsgemäß dauert diese zweite Phase noch einmal einige Wochen. Am Ende steht Ihre persönliche Anti-Reizdarm-Diät.

Kann dieser Weg den Reizdarm heilen?

PROF. STORR: Nein, aber sie vermeidet die bekannten Auslöser. So verhindert die Diät, dass die Beschwerden überhaupt auftreten. Bisherige Mittel setzen dagegen erst viel später ein, nämlich, wenn die Beschwerden schon da sind. Generell aber ist Reizdarm bis heute leider nicht heilbar.

Warum nicht?

PROF. STORR: Weil die Ursachen noch nicht vollständig geklärt sind. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass viele Faktoren zusammenkommen müssen, damit ein Darm derart überempfindlich reagiert. Zu diesen Auslösern zählen überstandene Darm-Infekte, eine veränderte Darmflora, winzige Entzündungen der Darm-Schleimhaut, die Erbanlagen und etliches mehr. Summieren sich diese Faktoren bei einem Menschen über ein bestimmtes Niveau hinaus, entwickelt er ein Reizdarm-Syndrom.

Bekanntlich haben viele Betroffene eine wahre Ärzte-Odyssee hinter sich, bevor sie die Diagnose Reizdarm erhalten. Wieso ist es eigentlich so schwer, diese Störung zu erkennen?

PROF. STORR: Leider gibt es keinen einfachen Test, der anzeigt, hier liegt ein Reizdarm-Syndrom vor. Alle Untersuchungen, ob Bluttest, Stuhlprobe, Ultraschall der Bauchorgane oder Darmspiegelung, dienen dazu, andere Magen-Darm-Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen schrittweise auszuschließen. Und von diesen Krankheiten existieren mehr als ein Dutzend, angefangen von Lebensmittel-Allergien über Entzündungen der Bauchspeicheldrüse bis hin zu Laktose-Intoleranz und Zöliakie.

Und erst wenn das alles ausgeschlossen ist, steht die Diagnose Reizdarm?

PROF. STORR: Ja. Außerdem müssen folgende Kriterien zutreffen:

  • in den letzten drei Monaten traten die Bauchschmerzen mindestens an drei Tagen pro Monat auf;
  • die Beschwerden wie Krämpfe und Blähungen lassen nach dem Stuhlgang nach;
  • Durchfall und Verstopfung wechseln sich häufig ab.

All diese Symptome sprechen für Reizdarm und damit für einen Erfolg der FODMAP-Diät.

Was passiert, wenn ich mich als gesunder Mensch nach der FODMAP-Diät ernähre?

PROF. STORR: Sie merken gar nichts. Da Sie keine Beschwerden haben, kann sich bei Ihnen auch nichts verbessern.

Man kann damit auch nicht abnehmen?

PROF. STORR: Nein. Die FODMAP-Diät ist keine Schlankheitskur, dafür ist sie schlichtweg nicht entwickelt worden. Wie bei jedem Umstellen der Ernährung wird etwas Gewicht schwinden, vielleicht zwei bis vier Pfunde. Das ist ein schöner Nebeneffekt und liegt daran, dass man sich bewusster ernährt.